Wer war Hieronymus von Münchhausen wirklich?

Bild: Münchhausen-Museum

Wer kennt ihn nicht, den Baron von Münchhausen, auf einer Kanonenkugel reitend, sein Pferd am Kirchturm befreiend oder sich an den Haaren selbst aus dem Sumpf ziehend? Wunderbar und phantastisch sind die Abenteuer des Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen. Als zentrale Gestalt einer Erzählkunst mit beeindruckender Vorstellungskraft, Gewitztheit und Formvollendung inspirieren seine Geschichten Illustratoren und Literaten bis heute immer wieder aufs Neue.

 

Doch wer war Münchhausen wirklich?

Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen, geboren am 11. Mai 1720 in Bodenwerder, ist Vertreter einer Epoche des Umbruchs, in der sich ein Wandel von Absolutismus, Aufklärung und Romantik vollzieht.

 

Von einem Erfolg versprechenden Landadligen, der sich freiwillig nach Russland begibt, dort zum Rittmeister ernannt, dennoch sich aus dem russischen Machtzentrum nach Bodenwerder zurückzieht, wird er von hier aus zu einem über die Region hinaus bekannten brillanten Erzähler.

 

Dass ihm am Ende seines Lebens Unrecht widerfährt, so dass er am 22. Februar 1797 vereinsamt stirbt und ihm der Begriff „Lügenbaron“ zugeschrieben wird, liegt sicherlich mit an dem schnellen gesellschaftlichen Wandel des 18. Jahrhunderts, dem nicht nur er unterlag.

 

Seine Grabstätte befindet sich in der Klosterkirche St. Marien im Stadtteil Kemnade.

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Ganz der Tradition des Landadels entsprechend geht Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen nach seiner Kindheit auf dem väterlichen Gut mit 13 Jahren zur Ausbildung nach Bevern, tritt mit 15 am Hof von Wolfenbüttel in Dienst und meldet sich 1737 freiwillig als Page Herzog Anton Ulrichs von Braunschweig nach Russland. In Petersburg, dem Zentrum höfischer Machtentfaltung, erlebt er rauschende Feste und prachtvolle Jagden. Von hier aus zieht er in den 4. Russisch-Österreichischen Türkenkrieg.

 

Nach der Ernennung zum Fähnrich im Leibkürassier-Regiment 1739, wird er 1740 als Leutnant in Riga stationiert und später zum Rittmeister befördert. Er heiratet Jacobine von Dunten, eine Freifrau aus Lettland.

 

In all diesen unterschiedlichen Lebenswelten kann Münchhausen seine literarischen Fähigkeiten entwickeln und für seine Erzählkunst und Fabulierfreude Nahrung erhalten.

 

Doch gezielte Intrigen und politische Wirren um den Zarenthron und damit das Ende seiner Karriereaussichten lassen Münchhausen 1753 mit seiner Frau auf seinen Besitz nach Bodenwerder zurückkehren und 1754 aus der russischen Armee ausscheiden.

 

In Bodenwerder lässt er am Ende des Siebenjährigen Krieges die legendäre Grotte bauen, in welcher er in illustrem Kreise seine Erzählkunst zum Besten gibt. Hier und in Göttingen, bei Besuchen seines Onkels, dem Mitbegründer der Universität, erlangt er den Ruf eines humorvollen Fabulierers.

 

Noch zu Lebzeiten muss Münchhausen ertragen, dass Veröffentlichungen seiner Geschichten durch die beiden Literaten R. E. Raspe und G. A. Bürger mit deren Ausschmückungen und satirischen Überhöhungen zu dem fragwürdigen Begriff des Lügenbarons führen. Er ist bestürzt, dass seine mündlichen Erzählungen, die aus der Tradition der männlichen Tafelrunden wie des höfischen Tabakskollegiums heraus entstanden, zu einem bürgerlichen Burleskenbuch degradiert werden.

 

Die Zunahme der Bedeutung des Gedruckten ist nicht mehr aufzuhalten. Die Veröffentlichungen tragen dazu bei, dass Münchhausens Abenteuer seit 1786 zur Weltliteratur gehören.

 

Ein dankbarer Stoff ist für das am Ende der Aufklärung und im Übergang zur Romantik stehende Bürgertum gefunden worden. Ruhm und Macht des Adels beginnen zu bröckeln. Im Zuge einer emanzipatorischen Entwicklung entsteht ein ausgeprägtes Interesse an Selbstentscheidungen, an Natur und Abenteuer und die sogenannten Lügengeschichten des Barons passen in diese Ansprüche an Literatur. Münchhausen erlebt eine europaweite Verbreitung, ohne daran teil zu haben.

 

Seit 1786 sind mehr als tausend Auflagen und Illustrationen, in 70 Sprachen mit einer Gesamtauflage von 6 Millionen Exemplaren erschienen. Ein Ende unterschiedlichster Rezeptionen des Gesamtwerkes auch in Film und darstellender Kunst ist nicht in Sicht. Münchhausen wird als kreativer Held, der sich mit Witz und Fantasie aus schwierigen Situationen befreit, verehrt. Und letztendlich bleibt es dem Leser gleichgültig, welche Textanteile wirklich von ihm sind und welche aus der Feder Raspes oder Bürgers stammen.

 

Münchhausen wird zu einem ästhetischen Begriff. Doch bleibt die Frage, warum gerade seine Geschichten zur

Weltliteratur wurden.

 

So mancher, der in seiner Kindheit mit Münchhausens wundersamen Abenteuern aufgewachsen ist und sie ihm zur vertrauten Literatur wurden, ist sich nicht bewusst, dass es sich bei „Hieronymus von Münchhausen“ um eine real existierende Person des 18. Jahrhunderts handelt.

 

Dennoch weiß jeder, dass er sich in Petersburg aufhielt und von dort aus an Russisch-Türkischen Kriegen teilnahm. Im Wesentlichen existiert von ihm sogar ein deutliches Bild seines Aussehens, meist etwas pointiert mit Perücke, Dreispitz, Kniehose, Weste und Rockschößen, die er beim Entenflug gezielt einzusetzen weiß.

 

Zur Wirkung der Geschichten gehört unabdingbar die durchschimmernde Zugehörigkeit zum Adel. Obwohl seine Abenteuer von den Privilegien seines Standes, wie der Jagd handeln, sind sie unerwartet „unhöfisch“, kommen eher in einem volkstümlichen Sprachmodus daher. In diesem Widerspruch liegt sicherlich eine der Ursachen für das Amüsement des Zuhörers. Dass dabei so manch ironische Anspielung auf die Mächtigen der Zeit durchscheint, ohne zu einer offenkundigen Satire zu verflachen, wird bei seinen Zuhörern zur weiteren Belustigung beigetragen haben. Wie ist der Hinweis auf den eigenen Lorbeerbaum, in dessen Schatten er sich ausruhen kann, anders zu verstehen?

 

Münchhausen spielt mit literarischen Vorlagen, wenn seine Geschichten auf antiken und mittelalterlichen Texten basieren. Er verlässt aber die inhaltlichen Zusammenhänge und kombiniert diese mit unerwarteten Pointen. Die Anspielungen sind leicht auszumachen und so verläuft das Spiel für den Zuhörer in mindestens zwei Phasen. Heiterkeit entsteht beim Erkennen der Zitate und wird dann durch die darauf folgende pointierte Umdeutung verstärkt. Dass Töne vor Kälte einfrieren, ist einer vertrauten Erzählung entnommen, sie aber am Kamin wieder auftauen zu lassen, entspringt einem phantastischen, visionären Geist.

 

Die konkreten Handlungen entlehnt Münchhausen seiner Lebenswelt, nicht nur als leidenschaftlicher Jäger oder Beteiligter an Russisch-Türkischen Kriegen, sondern auch der Epoche der Aufklärung. Bei seinen Jagdabenteuern geht es oft um das Spiel mit neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Den damaligen Zuhörern werden diese phantasievollen Anspielungen z.B. auf die Handhabung von Pistolen oder die Verwirklichung des Fliegens leicht zugänglich gewesen sein. Um die gesamte Dimension seiner Sprachwitze erfassen zu können, lohnt es sich, uns den damaligen Entwicklungsstand in Natur und Technik zu vergegenwärtigen.

 

Bei aller Fabulierkunst sind seine Geschichten keine losgelösten Phantastereien ohne einen geisteswissenschaftlichen Hintergrund. Münchhausen umspielt quasi Themen, die sich spezifisch mit Lösungen von „Widrigkeiten“ beschäftigen. Dabei wird der heroische Wahlspruch des Kurfürstentums Braunschweig „Nec aspera terrent“ wunderbar heruntergebrochen und zu einer allgemeingültigen Lebensweisheit weitergesponnen: „Man muss sich nur zu helfen wissen!“

 

Wenn auch für die Erwachsenen eine kindliche Freude an Münchhausens „Phantastereien“ unbeschwert ganzheitlich entstehen kann, so verharrt diese nicht im Spektakulären, sondern wird gerade mit dieser ermunternden Botschaft auch schon von jungen Menschen intuitiv verstanden. Darin liegt diese kraftvolle Unmittelbarkeit seiner Aussage, die letztendlich mit jedem von uns etwas zu tun hat.